Mutmaßungen über Cybervergeltungen Russlands

Aktuellen Medienberichten zufolge wurden US-Banken in den vergangenen Tagen verstärkt Opfer von Cyberattacken (New York Times 27.8.2014 – Quelle // Spiegel Online 28.8.2014 – Quelle) in einem, die üblichen Angriffsversuche übersteigenden Ausmaß. Da in einigen, der bei den Attacken eingesetzten Tools ukrainische und russische Bezeichnungen gefunden wurden, wird Russland als Urheber dieser Attacken vermutet und das FBI aufgefordert, diese Vermutungen zu untersuchen.

Obgleich sich die Faktenlage hinter diesen Ereignissen – soweit es die öffentlichen Quellen betrifft – kaum von den üblichen Phishing- und Datenleck-Vorfällen unterscheidet, bieten diese jedoch, mit Blick auf die Wahrnehmung und Bewertung von Cybervorfällen, eine beachtenswerte Situation . Zum einen berührt die zeitliche und weltpolitische Nähe dieser Angriffe im Rahmen des Ukraine-Konflikts einen wesentlichen Aspekte des sogenannten Attributionsproblems, also der raschen, technisch jedoch sehr komplizierten Ursprungsbestimmung eines Cybervorfalls. Obgleich es zum aktuellen Zeitpunkt keine faktischen Grundlagen für die Mutmaßungen, dass hinter den Angriffen offizielle russische Stellen stehen, gibt, beeinflussen die Vorfälle die öffentliche Wahrnehmung des aktuellen Konflikts, die damit verbundene Bedrohungsbewertung und unter Umständen auch politische Reaktionen. Auf der anderen Seite könnten diese Vorfälle durchaus ein Beispiel darstellen, wie der Cyberspace in zukünftigen klassischen Konflikten als Mittel eingesetzt wird. Dies würde die Einschätzung von Experten wie Thomas Rid unterstreichen, denen zufolge es eher keine „reinen Kriege im Cyberspace“ geben wird – wie es der Begriff des „Cyberwar“ suggeriert – sondern dass Cyber-Maßnahmen flankierend und hinsichtlich ihres Aggressionspotentials unterhalb kritischer Schwellen eingesetzt werden.

Die Situation bleibt insofern spannend, als dass eventuelle stichhaltige Beweise für eine tatsächliche offizielle Beteiligung des russischen Staats genau jene Fragen des Rechts auf Verteidigung aufwerfen, die insbesondere im Tallinn-Manual, als dem bisher elaboriertesten Ansatz einer Übertragung der Normen des humanitären Vökerrechts auf den Cyberspace gegenwärtig international kontrovers diskutiert werden.